News

30. September 2014
Blick ins Regelbuch: Verhinderung einer aussichtsreichen Torchance und absichtliches Handspiel
Am Freitag ist dem LASK die Revanche gegen den SKN St. Pölten geglückt. Mit einem etwas schmeichelhaften 2:1-Sieg ist die Scharte von der 1:0 Niederlage im August wieder ausgemerzt. Was sowohl das Hinspiel in St. Pölten, als auch die Begegnung vom letzten Freitag gemeinsam hatten, war auf Ebene der Unparteiischen zu finden: In St. Pölten gab mit Petru Ciochirca ein steirischer Schiedsrichter sein Debüt in der Sky-Go Erste-Liga und am vergangenen Freitag durfte mit dem deutlich erfahreneren Andreas Kolleger ebenfalls ein Steirer das Spiel leiten. Ebenso unterschiedlich wie die Leistung der Schwarz-Weißen in diesen Begegnungen waren auch die Leistungen der Unparteiischen. Während Ciochirca in St. Pölten mit einer tadellosen Leistung glänzte, war die Performance von Andreas Kolleger eher durchwachsen. Es gab mehrere kleine Fehlentscheidungen, wie z.B. mehrere nicht geahndete Foulspiele und auch  den ein oder anderen Einwurf in die falsche Richtung. Dabei handelte es sich aber um Kleinigkeiten, die zwar das Gesamtbild des Schiedsrichters etwas trübten, das Spiel aber nicht wesentlich beeinflussten. Zwei wesentliche Entscheidungen blieben aber dennoch offen. Einerseits wurde darüber diskutiert, ob dem LASK ein Elfmeter vorenthalten wurde, andererseits hätten die Funktionäre des SKN St. Pölten gerne einen Ausschluss von Shawn Maurice Barry in Halbzeit 1 gesehen. Wir wollen uns beide Situationen etwas genauer ansehen, wobei ich in diesem Fall nicht chronologisch vorgehen, sondern mit der Elfmetersituation beginnen möchte.
 
Die Situation ergab sich in der 58. Minute nach einem zu Recht geahndeten Freistoß für den LASK, ca. 20 Meter vor dem Tor des Gegners. Radovan Vujanovic trat an, wollte den Ball direkt auf das Tor schießen, traf allerdings nur die Mauer und der Ball ging ins Torout, weshalb Kollegger auf Eckstoß entschied. Was nach dieser Schilderung völlig logisch erscheint, ist aber nicht die ganze Wahrheit, sondern nur die Wahrnehmung des Schiedsrichters aus der Weststeiermark. Dieser hat nämlich einen entscheidenden Punkt nicht wahrgenommen, nämlich dass die Ablenkung des Balles aus der Mauer nicht mit dem Arm erfolgte. Genau genommen handelte es sich um Bernhard Luxbacher, den Spieler am rechten Rand der Mauer (aus der Sicht des Schützen).  Dieser hielt seinen linken Arm, nicht ganz 180 Grad abgewinkelt und ca. 45 Grad nach oben vom Körper weggestreckt, und der Ball landete nach dem Schuss von Vujanovic genau auf diesem, wovon dieser ins Torout abgelenkt wurde. Da sich die Mauer eindeutig im Strafraum befand, liegt hier auf alle Fälle ein Handspiel im Strafraum vor.
 
Nun ist es aber so, dass nicht prinzipiell jedes Handspiel zu ahnden ist. Im Regelwerk der FIFA (wieder mal Regel 12 – Seite 36) heißt es nämlich, dass ein direkter Freistoß nur dann zu verhängen ist, wenn ein Spieler „den Ball absichtlich mit der Hand spielt (gilt nicht für den Torwart im eigenen Strafraum).“ Damit stellt sich nun die Frage, ob das Handspiel von Luxbacher ein Strafbares war, da seine Hand doch von Vujanovic eindeutig angeschossen wurde.  Im Volksmund des gemeinen Fußballfans wird ja davon gesprochen, dass absichtliches Handspiel nur dann vorliegt, wenn sich die Hand zum Ball bewegt. Dies ist auch soweit richtig, allerdings ist dies nicht die einzig entscheidende Komponente ob ein Handspiel strafbar ist. Im Regelbuch findet sich unter den Erläuterungen für Schiedsrichter auf Seite 119 nämlich folgendes:
 
Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball mit seiner Hand oder seinem Arm absichtlich berührt. Der Schiedsrichter achtet bei der Beurteilung der Situation auf
• die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand),
die Entfernung zwischen Gegner und Ball (unerwartetes Zuspiel),
• die Position der Hand (das Berühren des Balls an sich ist noch kein
Vergehen),
• das Berühren des Balls mit einem Gegenstand in der Hand des Spielers
(Kleidung, Schienbeinschoner usw.), was ein Vergehen darstellt,
• das Treffen des Balls durch einen geworfenen Gegenstand (Schuh, Schienbeinschoner
usw.), was ein Vergehen darstellt.
 
Ersteres hätten wir ja bereits ausgeschlossen und die letzten beiden Punkte stehen ebenfalls nicht zur Debatte. Somit brauchen wir uns nur noch mit den Punkten 2 und 3 beschäftigen. Die Entfernung zwischen dem Schützen dem Spieler muss 9,15 betragen haben, da es sich ja um einen direkten Freistoß handelte. Diese Distanz war eindeutig zu groß um von einem „unerwarteten Zuspiel“ zu sprechen. Die Position der Hand war zudem „unnatürlich“ und der Schiedsrichter musste sich die Frage stellen, warum er diese Haltung einnahm. Dies lässt nur eine logische Schlussfolgerung zu: Der Spieler wollte mit dieser Armhaltung seinen Körper verbreitern, um die Wahrscheinlichkeit den Ball abwehren zu können, zu erhöhen. Diese Verbreiterung des Körpers erfüllt nach den Erläuterungen des ÖFB den Tatbestand der Absicht. Zudem heißt es dort auchWenn ein Torschuss (= Schuss auf das Tor), ohne dass es sich um das Verhindern eines Torerfolges/offensichtliche Torchance handelt, durch ein absichtliches Handspiel vom Verteidiger „abgewehrt“ wird, ist dieser zu verwarnen.“ Damit hätte Bernhard Luxbacher die Gelbe Karte sehen müssen und das Spiel nicht mit Eckstoß, sondern mit Strafstoß für den LASK fortgeführt werden müssen. Zur Ehrenrettung von Andreas Kollegger kann man nur anführen, dass er nach Studium der TV-Bilder im Interview auf Sky-Sport-Austria seinen Fehler eingestanden hat.
 
Kommen wir nun aber zu einer ebenso hart diskutierten Entscheidung in der 28. Minute. Der SKN St. Pölten startete einen Angriff, während die LASK-Verteidigung sehr hoch stand. Manuel Hartl gelang es durch die Innenverteidigung durchzubrechen und wurde von Shawn Maurice Barry mit einem Foul gestoppt. Schiedsrichter Kollegger ahndete dieses Foul und verwarnte den Täter. Charly Leitner, der das Spiel auf Sky kommentierte forderte umgehend die Rote Karte, da Shawn Maurice Barry letzter Mann gewesen sei. Martin Scherb, als Experte im TV-Studio, bestätigte seinen Kollegen und forderte ebenfalls die Rote Karte. Wenig überraschend waren auch die Funktionäre des SKN St. Pölten der Meinung des TV-Duos. Doch was sagt das Regelbuch dazu?
 
Sucht man darin nach einer Bestimmung, dass ein Spieler des Feldes verwiesen werden muss, wenn er bei einem Vergehen der letzte Mann war, dann wird man nicht fündig. Ist auch wenig verwunderlich, denn in 99,9% der Fälle ist der Torhüter der letzte Mann. Die TV-Experten dürften allerdings die Bestimmung, dass das Vereiteln einer offensichtlichen Torchance für einen auf sein Tor zulaufenden Gegenspieler durch ein Vergehen, das mit Freistoss oder Strafstoss zu ahnden ist“ (Regel 12, Seite 39) ein feldverweiswürdigendes Vergehen darstellt, meinen. Genauer definiert wird dies auf Seite 130 des Regelbuches:
 
„Das Verhindern eines Tores oder das Vereiteln einer offensichtlichen Torchance des gegnerischen Teams wird mit einem Feldverweis bestraft. Dabei ist unerheblich, ob das Vergehen im Strafraum erfolgte oder nicht. Entscheidet der Schiedsrichter bei einer klaren Torchance auf Vorteil und entsteht daraus direkt ein Tor, obwohl ein Gegner den Ball mit der Hand gespielt oder einen angreifenden Spieler gefoult hat, kann der betreffende Spieler nicht des Feldes verwiesen werden, kann jedoch verwarnt werden. Die Schiedsrichter berücksichtigen beim Entscheid über einen Feldverweis für das Verhindern eines Tors oder das Vereiteln einer Torchance folgende Aspekte:
 
• Distanz zwischen Vergehen und Tor
• Wahrscheinlichkeit, dass das angreifende Team in Ballbesitz bleibt oder kommt
• Richtung des Spiels
• Position und Anzahl verteidigender Spieler
• Das Vergehen, durch das eine offensichtliche Torchance vereitelt wird, kann ein Foul darstellen, das mit einem    direkten oder indirekten Freistoss geahndet wird.„
 
 
Nach dieser Definition muss man feststellen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das angreifende Team in Ballbesitz bleibt bei 100% gelegen wäre. Auch die Richtung des Spieles ging eindeutig dem Kasten von Pavao Pervan entgegen. Streitbar ist der Umstand, ob Mario Hieblinger noch in das Spielgeschehen eingreifen hätte können, oder sogar Barry das Laufduell mit Hartl trotz „Rückstandes“ noch für sich entscheiden hätte können. Denn die Distanz zwischen dem Vergehen und dem Tor betrug weit mehr als 50 Meter. Genau von dieser Beurteilung ist allerdings abhängig ob die richtige persönliche Strafe für Barry die Verwarnung, oder der Ausschluss gewesen wäre. Ist der Schiedsrichter der Meinung, dass ein anderer Spieler noch ins Geschehen eingreifen kann, so handelt es sich um eine aussichtsreiche Torchance für Hartl, womit die Gelbe Karte ausreichend war. Wäre er der Meinung, dass er freie Bahn auf das Tor hat und die Kugel nur noch am Torhüter vorbeischieben muss, so handelt es sich um eine offensichtliche Torchance und das Foulvergehen wäre mit Rot zu bestrafen. Andreas Kollegger rechtfertigte sich im Interview auf SKY damit, dass „das Vergehen zu weit vom Tor weg war, und so keine offensichtliche Torchance, die unmittelbar darauf vorhanden sein muss, vorlag und damit die Gelbe Karte ausreichend sei.“  Ich kann dieser Aussage gut folgen, da die Entfernung zum Tor ein entscheidendes Kriterium darstellt und auf diesen 50 Metern Weg noch zu viel passieren hätte können. Ein unmittelbarer Torschuss nach dem Durchbruch durch die Verteidigung wäre wohl nicht vielversprechend gewesen und wie schon erwähnt, war es nicht gesichert, dass Hartl ungehindert Richtung Tor laufen hätte können. Somit lag Kollegger mit dieser Entscheidung sicher im vertretbaren Bereich der Interpretation des Regelwerks.
 
Alles in allem muss man also, wie zuvor erwähnt, von einer durchwachsenen Leistung des Spielleiters sprechen. Er hatte sicher nicht seinen besten Tag erwischt, letztendlich hatten seine Fehler aber auf das Endergebnis nicht maßgeblich beeinflusst.  Mit dieser Feststellung klappe ich das Regelbuch für diese Woche schon wieder  zu und verstau es für ein paar Tage im Bücherregal, bin aber überzeugt, dass ich spätestens am Freitag wieder hervorholen werde.
 
Baba und liebe Grüße,
 
Eure Didem
Didem Bilgin
Tags: