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27. January 2016
Ein Wochenende im “dunklen Osten”
 
Nach längerer Auszeit vom Reisen rund um den Fußball kam mit dem neuen Jahr auch neue Motivation und zum Rückrundenstart in Deutschlands dritter Profiliga standen mit Erfurt-Dresden und Halle-Magdeburg zwei vielversprechende Ostderbys an. Diese Liga wird zurzeit nicht umsonst als Neuauflage der DDR-Oberliga bezeichnet, sind doch gleich 8 Vereine aus dem ehemaligen kommunistischen Osten Deutschlands vertreten (Dynamo Dresden, Wismut Aue, 1. FC Magdeburg, Hallescher FC Chemie, Chemnitzer FC, Energie Cottbus, Rot Weiss Erfurt, Hansa Rostock). Da bis vor 50 Jahren in der DDR großteils Sportvereine mit Fußballsektionen existierten und die Politik den Fußball erfolgreicher machen wollte, schuf sie neue, reine Fußballvereine und so feiern zurzeit einige dieser Clubs ihr 50 jähriges Jubiläum, darunter auch Erfurt, Halle und Magdeburg. Ursprünglich war Nick der Initiator der Tour, doch sollte ihn leider eine anstehende Prüfung daran hindern mitzufahren.
 
Ich stellte mich als neuer Fahrer zur Verfügung und mit Bernd, Jochen und Patrick waren auch 3 Mitfahrer gefunden, sodass sich neben den (geteilten) Reisekosten auch die Langeweile in Grenzen halten sollte. Während wir für die Partie in Erfurt trotz Stadionumbau und dadurch beschränkter Zuschauerzahl problemlos im Voraus Tickets kaufen konnten, gestaltete sich dies für Halle ungleich schwieriger, da für das Derby in Sachsen-Anhalt vorerst nur Bestandskunden Karten erwerben konnten. In der Woche vorm Spiel erhielt ich von einem bekannten Hallenser jedoch die Nachricht, dass die Restbestände in einem Sportgeschäft in der Stadt verkauft werden sollten. Nun trennten uns aber 577 Kilometer von diesem Shop und deshalb erklärte er sich bereit, die Karten für uns zu organisieren, großes Dankeschön nochmal an dieser Stelle! 4 Tage vor Start der Tour war also alles geklärt, übernachtet werden sollte in Halle. Das Wetter spielte aber nicht mit, sodass zumindest in Erfurt bis 2 Stunden vor Spielbeginn nicht klar war, ob gespielt werden könne. Noch in der Nacht vorm Spiel kam Neuschnee und Eisregen, sodass das Spiel mehrfach vor der Absage stand.
 
23.01.2016: FC Rot Weiss Erfurt-SG Dynamo Dresden 3:2, Steigerwaldstadion, 3. Liga, 7273 Zuschauer (1200 Gäste)
 
Um 5 Uhr früh rief der Wecker zum Aufstehn, nach und nach wurden die Mitfahrer eingesammelt und bis zur Grenze lief auch alles normal, dann      ging es nur noch schleppend voran. Nicht aber wegen der erwarteten Grenzkontrollen, die komplett ausfielen, sondern weil heftiger Schneefall  einsetzte und wir insgesamt eineinhalb bis zwei Stunden mit 30 km/h hinter einem Einsatzfahrzeug des Winterdienst herfahren mussten. Die anderen  konnten dies zumindest mit Alkohol überbrücken, für mich war das Fahren bei diesen Zuständen ziemlich anstrengend. Tatsächlich schafften es zur  gleichen Zeit die Erfurter mit Hilfe der Fans, Spielfeld und Tribünen von Schnee und Eis zu befreien und auch wir kamen rechtzeitig in der  Landeshauptstadt Thüringens an. Auto in einer Seitenstraße abgestellt, ging es zu Fuß weiter zum Steigerwaldstadion. Dieses befindet sich zurzeit im  Umbau, die geile Haupttribüne und eine alte Hintertor-Stehkurve stehen noch, der Rest ist Rohbau der neuen, modernen Tribünen, was das  Gesamtbild etwas trist darstellt, man aber dennoch erahnen kann, was hier bis vor gut einem Jahr für ein legendäres, ganzes Stadion stand, das mit  einem Spiel gegen den FC Groningen (der letzte Europacupgegner der Erfurter) verabschiedet wurde.
 
Auf dem Weg dahin konnten wir einige Wandmalereien erblicken, die man so wohl kein zweites Mal findet, dafür muss ich mir noch mal mehr Zeit  nehmen. Leider wurde die Vorfreude noch durch übermotivierte Ordner getrübt, die uns, nachdem sie unsere Pässe kontrollierten, in eine Extra-  Zone schickten, um uns mit einem Pyro-Spürhund zu durchsuchen. Österreicher haben wohl einen schlechten Ruf hier im Osten. Bei uns wurde  natürlich nichts gefunden und wir durften hinein, hatten mit dem Hund aber noch Glück, denn einige Erfurter Ultras hätten sich Nacktkontrollen  unterziehen sollen, taten dies aber natürlich nicht und blieben draußen. Der Rest ging mit Spielbeginn in den Block, machte sich mit „Fußballfans sind keine Verbrecher“-Gesängen bemerkbar und verließ daraufhin geschlossen das Stadion. Für uns natürlich schade, aber verständlich und konsequent. Traurig, dass man damit Fans, die ein paar Stunden zuvor mitgeholfen hatten, den Platz überhaupt bespielbar zu machen, vom Spielbesuch aussperrt, indem man Menschenrechte mit Füßen tritt.
 
Unsere Plätze waren zwischen Haupttribüne und Gästeblock, welcher mit 1200 Leuten ausverkauft war und gewohnt stark auftrat, die Bauweise ohne Dach und auch der Spielverlauf in der 2. Halbzeit verhinderten aber ein kollektives Ausrasten, trotzdem ein guter Auftritt von Dynamo. Auch ein Angebot zum gemeinsamen Spielen am Hauptbahnhof nach dem Spiel wurde ins Rund geschmettert, ob diesem später nachgekommen wurde, weiß ich leider nicht. Auf Erfurter Seite bildete sich neben dem Gästeblock ein kleiner alternativer sangesfreudiger Trupp, der gegen Dynamo pöbelte, sich der Gegenwehr aber wohl nicht gewachsen sah und die Bemühungen schnell wieder einstellte. Ansonsten war der Support der gut 6000 Heimfans sehr spielbezogen, was auch passte. Teilweise waren aber auch nervige Kunden dabei, die in Abwesenheit der Ultras ihre Chance ergreifen und „auf großen Macker“ machen wollten. Während RWE die frühe Führung des Tabellenführers aus Sachsen mit dem Halbzeitpfiff ausgleichen konnte, hatten wir bereits den ersten vermeintlichen Ausfall zu verzeichnen. Bernd, den wir in der Früh direkt vom Melon in Traun abgeholt hatten und der auch danach nicht schlief sondern weitertrank,  ging mit Kreislaufproblemen ins Erfurter Fanhaus.
 
Die 2. Hälfte war sportlich stark, der Ex-Verein von Christopher Drazan hielt gegen die favorisierten Schwarzgelben, deren Fans sich während der spannenden Schlussphase aufs Spielschauen konzentrierten, was einfach nur authentisch ist und zeigt, dass ihnen das Spiel nicht egal ist, nicht nur mit und gewann am Ende nicht unverdient mit 3:2. Dennoch wird Dresden nächstes Jahr wohl wieder 2. Liga spielen, während die Erfurter die gute Leistungen noch bestätigen müssen, um nicht noch tiefer in den Abstiegskampf zu rutschen. Nach dem Spiel gingen wir zum Ausgang, wo wir auch Bernd wiedertrafen, der im Fanhaus mit Erfurt befreundete Hools aus Halle kennengelernt hatte und dessen Kreislaufprobleme durch ein paar Bier mit den Jungs auch wieder beseitigt wurden. Schlaf holte er dafür auf der Fahrt nach Halle nach, wo wir im Domotel eincheckten und danach in der Innenstadt bei einem (richtigen) Italiener essen gingen. Nachher waren wir uns einig, dass wir im deutschsprachigen Raum noch keine bessere Pizza gegessen hatten. Für die Kontaktaufnahme mit dem Personal sorgte wieder Bernd, der mit seinem Tattoo eine Diskussion über den italienischen Fußball auslöste. Danach ging es noch in zwei Pubs in Halle, wo wir, vom langen Tag und dem Pfeffi gezeichnet aber nur bis 11 Uhr aushielten, bevor es uns zurück ins Hotel zog. Aus dem letzten Beisl musste einer aus der Gruppe hinausgetragen werden, weil er eingeschlafen war und auch auf leichte Schläge nicht mehr reagierte. Wer uns 4 kennt, weiß von wem die Rede ist. Erst in der frischen Luft kam er wieder zu sich, mit dem Taxi fuhren wir ins Hotel und schliefen schnell ein.
 
24.01.2016: Hallescher FC Chemie-1. FC Magdeburg 1:2, Kurt Wabbel-Stadion, 3. Liga, 12.503 Zuschauer (3000 Gäste)
 
Der Sonntag begann recht früh, Frühstück holten wir uns vom “Netto” (eine Art Billa), dessen Backstube geöffnet hatte. Frisch geduscht  (Brennheiß oder  Arschkalt – dazwischen gabs nix) machten wir uns dann bald auf den kurzen Weg zum Stadion, wo wir uns zur  Kartenübergabe mit 3 Hallensern trafen.  Klappte alles perfekt und es war noch Zeit, ein paar Geschichten über Gott und die Welt, also  Fußball, auszutauschen. War echt interessant, den Jungs  zuzuhören, was sich in diesen Straßen schon abspielte. Kein Wunder bei den Leuten, die hier teilweise rumliefen. Wir verabschiedeten uns eine Stunde vor Spielbeginn in Richtung Haupttribüne des Kurt Wabbel-Stadions, das seit 2011 ein moderner, hässlicher Neubau ist und Erdgas-Sportpark heißt. Vom alten Rund sind nur mehr die  denkmalgeschützten Außenmauern erhalten und somit auch das einzige Highlight des Stadions.
 
Die größten Erfolge des Vereins sind zwei Teilnahmen am UEFA-Cup, die langjährige Zugehörigkeit zur DDR-Oberliga und etliche Landespokalsiege, zuletzt erst im letzten Sommer. Zwar schaffte der Verein nach der Wiedervereinigung die Qualifikation für die 2.  Bundesliga, stieg aus dieser jedoch sofort ab und schaffte es erst 2012 zurück in den Profifußball, die 3. Liga. Der heutige Gegner aus Magdeburg war dabei häufiger Begleiter des HFC Chemie,  allerdings bis zur Wende wesentlich erfolgreicher. So dürfen sich die selbsternannten „Größten der Welt“, immerhin dreimaliger DDR-Meister, siebenmaliger  Pokalsieger und sogar Europapokalsieger 1974 nennen, als im Finale des Europapokals der Pokalsieger der AC Milan besiegt wurde. Dem Spiel in Rotterdam sahen nur 4644 Menschen zu, was bis heute den Minusrekord für ein Europapokalfinalspiel darstellt. Da man dieses Jahr das erste Mal seit der Wende im Profifußball vertreten ist, übertrifft der Zuschauerschnitt die damalige Zuschauerzahl um vieles.
 
Für die beiden besten Vereine aus Sachsen Anhalt ist es das wichtigste Derby, das an diesem Tag zum 71. Mal ausgetragen wurde. Beim Einlass gab es heute keine Probleme und so konnten wir bereits die Choreovorbereitungen der HFC-Fankurve beobachten. Die Choreo war eine Fortsetzung vom Spiel gegen Cottbus, damals unter dem Motto „Vor Niederlagen warst du nie gefeit…“ war heute am Zaun die Fortsetzung zu lesen „doch deine Kurve stand hinter dir all die Zeit“. Die Worte waren in verschiedenen Schriftarten zu lesen, was sinnbildlich für die jeweiligen Zeitepochen stand. Dazu wurden 3 große, zusammenhängende Blockfahnen hochgezogen, auf denen für die Epochen typische Fans zu sehen waren. Alles in allem eine wunderschön anzusehende Choreo, die zu Recht Applaus erhielt. Währenddessen hatten die Magdeburger neben dem eigentlichen Gästesektor auch die Hintertortribüne und einen zweiten Stehplatzblock direkt neben uns eingenommen, was auf Hallenser Seite verständlicherweise für Ärger sorgte, da so auch einige Dauerkartenbesitzer ihre Plätze für die verhassten „Bauern“ freigeben mussten. Zwei volle Kurven also, sieht man so nicht oft in Deutschland und wie die Spieler starteten auch die Fans motiviert in die Partie. Magdeburg ging früh in Führung, was Block U erstmals richtig ausrasten ließ, während Halle leider nur selten lautstark zu vernehmen war, erst nach dem Ausgleich waren auch bei Chemie wieder mehr Leute motiviert. Magdeburg haute derweil einige Klassiker raus, die man von Videos kennt. Schade eigentlich, denn so wird man nicht mehr überrascht sondern höchstens enttäuscht, jedoch kann man diesen Videos zurzeit ja kaum ausweichen, ist man in diversen sozialen Netzwerken aktiv. Dennoch war der Auftritt über weite Strecken pervers geil und enttäuschte mich sicher nicht, viele Melodien die ich trotz allem noch nicht kannte und ein in Deutschland einzigartiger Stil überzeugten.
 
Für Halle war es leider ein rabenschwarzer Tag, in der 2. Halbzeit erzielten die Blau-Weißen das Siegtor und die Kurve konnte ihr Potential kaum abrufen, teilweise war im Block überhaupt keine Bewegung zu sehen, die Mannschaft kam aber auch nicht zu vielen Ausgleichschancen, sodass Resignation durchaus verständlich war. Viel Bewegung in der Fankurve gab es jedoch kurzzeitig in Halbzeit 1, als Magdeburger im Block anhand ihres Handy-Hintergrundbildes enttarnt wurden und jenen, die sich wohl verirrt hatten, netterweise der Ausgang gezeigt wurde. Am Ende gewann also der Aufsteiger das Sachsen-Anhalt Derby mit 1:2, das einmal mehr aufzeigte, dass die besten Fanszenen im Nachbarland nicht nur und unbedingt in der Bundesliga zu finden sind. Wir machten uns nach dem Spiel schnell auf den Weg nach Hause, schließlich mussten 3 von 4 Leuten der Reisegruppe schon frühmorgens wieder arbeiten, während der Fahrer und Autor dieser Zeilen ausschlafen konnte. Die Rückfahrt verging viel schneller als die Hinfahrt, verlief ereignislos und bereits um kurz nach 22 Uhr war ich zuhause. Super Wochenende, gerne bald wieder! 

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Christian Zeintl
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