9. May 2016
No “Derby of Love” – Hexenkessel Sarajevo
Bereits zum zweiten Mal entschloss man sich nach Sarajevo zu reisen. In dieser beschaulichen, in den Bergen gebauten Stadt, können die Einwohner einiges erzählen. Einige Kriege und Belagerungen erlebten diese. Auch ein nicht unwesentlicher Teil unserer Geschichte fand hier statt. Thronfolger Ferdinand wurde hier ermordet, das zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte.
Diese Stadt versprüht einen eigenen, bis dato noch nicht erlebten, Charme. Ist es wahrscheinlich die Mischkulanz aus neuen Protzbauten mit hochmodernen Glasfassaden umsäumt und von zerschossenen und teils desolaten, alten Wohnblöcken, die für ein gehöriges Alleinstellungsmerkmal sorgen. Beim Rundgang durch die Vorort-Vierteln wird einem klar, wie sehr sich die Welt in dieser zehnstündigen Autofahrt verändert hatte. Die Sonne scheint durch die kleinen Spalte der aneinander gereihten Wohnsiedlungen in die innergelegenen Parks. Etwas Farbe wird nur durch diverse Graffitis in den Alltag gezaubert. Hauptaugenmerk gilt natürlich auf die Malereien der beiden rivalisierenden Stadtvereine Željezničar und FK Sarajevo. Fast überall sind diese zu finden. Die besondere Aura der beiden tonangebenden, geschichtsträchtigen Gruppierungen sind allgegenwärtig. ,,The Maniacs“ (Željo) und ,,Horde Zla“ (FK Sarajevo) entstanden beide im Jahr 1987. Diese Tatsache macht sich auch im Bild der Stadt bemerkbar.
Gilt es am Derbytag besonders Acht zu geben, wo und wie man sich bewegt, ist dies im täglichen Leben kein Problem. Beide Seiten leben gemütlich parallel zueinander. Jeder kennt sich und es kann sein, dass man sich abends mal über den Weg läuft und sich zu einem gemeinsamen Bier einfindet. Weit entfernt von Belgrader-Verhältnissen.
Im Stadtteil ,,Grbavica“ liegt eingebettet im Wohngebiet das gleichnamige Stadion von Željezničar. Neubauten sind hier Fehlanzeige. Uns wurde erzählt beim Stadion verlief im Jugoslawischen Krieg die Frontlinie. Die unzähligen Einschusslöcher bestätigten uns dies. Die Anrainer votierten sogar gegen eine Renovierung der Siedlung, um den Nachfahren die Grausamkeiten des Kriegs für immer in Erinnerung zu halten.
Sechs Mal konnte ,,Željo“ den Meistertitel fixieren und gilt damit als unangefochtener Rekordmeister Bosniens. Die guten Kontakte unserer Begleitung öffnete uns die Stadiontore und wir konnten das Innere begutachten. Augenmerklich fehlt eine Tribüne. Die stattdessen platzierte Lokomotive des ursprünglichen Eisenbahnervereins ersetzte diese jedoch vollends. Sicherlich ein weiterer Abhebungsfaktor.
Zur Unterstützung einer Renovierung existiert die Möglichkeit einen Sitz des Stadions für 15 Euro zu erwerben. Natürlich nahm man diese Gelegenheit wahr!
FK Olimpic Sarajevo – FK Sloboda Tuzla
Ansässig ist der Verein im Stadtviertel ,,Otoka“ in Novi Grad (Neustadt). Erbaut wurde das Stadion 1993 während des Krieges. Schon vor dem Anpfiff war uns klar, dass sich kein fußballerischer Leckerbissen darbieten würde. Auch architektonisch gefiel einem das Stadion nur mäßig. Lediglich die einsetzende Sonneneinstrahlung nötigte uns zur Ausschüttung einiger Glücksgefühle.
Der Aufsteiger Sloboda galt als Liga-Überraschung, spielte er doch um den Meistertitel mit. Etwa 200 Fans reisten mit ihrer Mannschaft zum Auswärtsspiel. Bemerkbar machten sich diese durch eine geschlossene Unterstützung. Die gegenüberliegende Schwimmhalle sorgte zusätzlich für den nötigen Widerhall. In der daneben angrenzenden Moschee schien es als gäbe es einen Akkord Zuschlag für alle Beteiligten. Geheiratet wurde im Minutentakt, das der Muezzin allen Stadionbesuchern per Mikrophon mitteilte.
Das Spiel endete 0:1 für die Gäste. Die nicht vorhandenen Erwartungen zu diesem Spiel wurden erfüllt.
Zeitig frühmorgens begab man sich zum Treffpunkt von ,,Željo“. Nach der kurzen Nacht stellte uns das vor die erste Bewährungsprobe. Die Masse, die sich hier einfand, überstieg unser Zählvermögen. Der Regen, der aufkam, ließ ein nasses Derby vermuten-gibt es doch keine Überdachung im Stadion „Asim Ferhatović Hase“: Heimstätte von FK Sarajevo und zugleich Nationalstadion. Nur einige VIP- Plätze hatten einen Schutz über ihren Köpfen. Der Wettergott war jedoch gnädig mit uns. Nur einige Tropfen wagten es sich herabzulassen.
Per Corteo startete der Tross etwas zeitverzögert quer durch die Stadt. Der Weg wurde von etlichen Schaulustigen dekoriert, die eine Art Spalier bildeten. Diverse Böllersalven und etliche andere pyrotechnische Gegenstände durften ebenfalls nicht fehlen. Immer wieder schön zu sehen, dass nicht sofort die Welt beim Gebrauch dieser untergeht, wie es die hiesige Presselandschaft ständig versucht uns weiß zu machen. Für die vielen Schaulustigen war dieses Szenario ebenfalls normal. Es ist eben Derby. Die Eingangskontrollen waren quasi nicht vorhanden, was sich im weiteren Zeitverlauf sehr stark bemerkbar machte.
Schon von Weitem erblickte man die mächtigen Flutlichtmasten. Das weite Rund wirkte von außen eher unscheinbar. Dies lag auch daran, dass das Stadion, wie die ,,Gugl“, in der Erde versenkt, erbaut wurde. Nachdem man den schmalen, eher Gefängnistrakt ähnlichen Einlass gewährte, erstreckte sich das gänzliche Antlitz des bereits sehr in die Jahre gekommenen Baus. Die Zeit bis zum Anpfiff vertrieben sich vornehmlich die jüngeren Zuschauer mit tanzen zur von den Lautsprechern dröhnenden Minimal- Mucke. Der Dj lag bei der After-Hour-Musikwahl goldrichtig. Kein Vergleich zur Liederwahl in österreichischen Stadien. Eine Lehrfahrt für den werten Dj Simpson sollte in die Agenda aufgenommen werden!
Zum Einlaufen beider Mannschaften erstrahlten die vorbereiteten Choreos. Im Auswärtsblock wurden weiße und blaue Zettel vorbereitet, untermalt vom Slogan: „Danas moras sve od sebe da das – mi smo zeljini zeljo je nas“. „Heute musst du alles von dir geben – wir gehören dir, du gehörst uns“. Im Heimsektor stieg als erstes eine rote Rauchfront empor. Unmittelbar nach Beendigung dieser folgte eine weiße. Das ist Derby!
Während des Spiels wurden etliche Bengalen und Blinker gezündet. Niemanden störten diese. Auch weil sie fachmännisch im Inneren der Laufbahn entsorgt wurden. Damit niemand zu Schaden kommt, versteht sich. Spielerisch wurde der Schongang eingelegt, was natürlich ebenfalls der Anspannung und Nervosität dieses wichtigen Spiels geschuldet war. Konnten beide Vereine den Meisterschaftsgewinn bereits abschreiben, musste wenigstens dieses wichtige Spiel gewonnen werden. In der 45. Minute war es dann soweit. Stevanović traf zum 0:1. Ein wahnsinniger Torjubel und eine Fackelshow sondergleichen folgten.
Pausenpfiff. Es zeichnete sich bereits ab, dass der Unparteiische nicht gerne den Weg in die Kabine antreten wollte. Immerhin liegt der Eingangstrakt unter der Gegengeraden, wo diverse Familien angesiedelt sind. Mit einer Bierdusche und evtl. einem Feuerzeug war es nicht getan. Auch in diesem Sektor wurden Bengalen gezündet. Selbstverständlich wurden diese nicht lange gehalten. Präzisest wurde der Schiedsrichter anvisiert und auch getroffen. Kein Pfiff, keine Reaktion, Sarajevo eben. Auch neben dem VIP-Bereich funkelte ab und an eine Fackel.
Die zweite Halbzeit verlief ereignislos. Außer etlichen Fackeln und eine neuerliche Pyroshow von FK Sarajevo hatte diese nichts zu bieten. Nach 13 Jahren feierte Željo den ersten Auswärtssieg im Derby!
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Autor: Anna Machslochoff (gewünschtes Synonym – echter Name der Red. bekannt)