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1. June 2024
Tätern eine Bühne geben?

Tätern eine Bühne geben?

Kaum glätten sich nach Monaten der Spannungen zwischen Verein und Fans langsam die Wogen, vermeldet der LASK zuletzt mit der Verpflichtung eines Spielers, dessen sportliche Vita glanzreicher nicht sein könnte, einen historischen „Transfercoup“:
Jérôme Boateng soll künftig in schwarz-weißer Dress auflaufen. Ästhetisch gestaltete Präsentationsvideos werden gepostet, im Minutentakt erscheinen Medienberichte zum prominenten Neuzugang, welcher der österreichischen Bundesliga weltmeisterlichen Flair verleihen soll, und Kommentarspalten explodieren – letzteres vor allem aufgrund dessen Vergangenheit abseits des Spielfelds:

Boateng soll in mehreren seiner bisherigen Beziehungen immense physische und psychische Gewalt ausgeübt haben und jene mediale Hetzkampagne gegen seine Ex-Partnerin, Kasia Lenhardt, aktiv unterstützt haben, welche die junge Mutter schließlich in den Suizid trieb. Massive Misshandlungen gegenüber der Mutter seiner beiden Kinder führten bereits zu zwei Gerichtsverfahren, die auch jeweils mit der Verurteilung Boatengs endeten, wobei sein hochkarätiges Anwaltsteam eine weitere Neuverhandlung auf Basis kleinerer formaler Verfahrensfehler erreichte. In Kürze wird sich Boateng erneut für seine Taten verantworten müssen – an seiner Schuld scheinen kaum Zweifel zu bleiben. Die Tatsache, dass man sich in Linz mit einem derartigen Menschen schmücken möchte und CEO Siegmund Gruber auch noch von einem Spieler mit „außergewöhnlichem Charakter“ spricht, ist nicht nur als geschmacklos sondern schlichtweg als Missachtung und Verhöhnung der Opfer zu werten.

Wenn man der medialen Berichterstattung und dem gesellschaftspolitischen Diskurs zu misogyner Gewalt folgt, sind es immer wieder die gleichen Rechtfertigungs- und Relativierungsstrategien, die uns fassungslos zurücklassen sollten:
Die sportliche Leistung soll von der Privatperson, die Musik vom Musiker und die Kunst vom Künstler getrennt betrachtet werden. Außerdem sei das alles doch immer noch Privatsache und jeder möge vor seiner eigenen Tür kehren. Dass eine derartige Argumentation für Personen des öffentlichen Lebens, die sich einer gewissen Einschränkung ihrer Persönlichkeitsrechte bewusst sein und Berichterstattung sowie lautstarke Kritik auch aus rechtlicher Sicht in Kauf nehmen müssen, jedoch nicht funktioniert, sollte klar sein. Aussagen wie diese führen unweigerlich zu einer Bagatellisierung von häuslicher Gewalt: Es wird versucht, gewaltvolle Machtausübung, systematische physische und psychische Attacken auf Partnerinnen, mit kleineren menschlichen Fehlbarkeiten gleichzusetzen. Um die Tragweite derartiger Verharmlosungen zu begreifen, sollte folgendes Gedankenexperiment auch all jenen helfen, die Kritiker*innen aktuell noch augenrollend als „Moralaposteln“ bezeichnen: Ersetzt die für euch zumeist gesichtslosen, fremden Opfer gedanklich durch eure Schwestern, eure Freundinnen, eure Töchter – ich weigere mich, zu akzeptieren, dass auch dann noch das sportliche Potenzial des Täters für euch im Fokus stehen würde und ihr es nicht abwarten könntet, eure neue Dress (am besten gestern) mit dessen Namen beflocken zu lassen.

Gewalt gegen Frauen ist ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft und muss als solches auf jeglicher öffentlichen Bühne problematisiert werden. Gerade der Blick in diverse Kommentarspalten zeigt die Notwendigkeit eines entschlossenen gemeinsamen Vorgehens und einer klaren Positionierung gegen misogyne Gewalt. Zu oft wird Opfern eine Mitschuld zugeschrieben, zu oft finden sich Forderungen nach einer eingehenderen Untersuchung von Beziehungsdynamiken und zu oft wird die Beweislage im konkreten Fall von der Öffentlichkeit als nicht aussagekräftig genug beurteilt. Es liegt in der Natur der Sache, dass Anschuldigungen kaum von Dritten bezeugt und lediglich die Aussagen von Betroffenen sowie Indizien zur Urteilsfindung herangezogen werden können.

Solange vermeintliche Gewalttäter glorifiziert, bereits nachgewiesene Straftaten relativiert und Kritikübende belächelt werden, sind Aufklärung und uneingeschränkte, lautstarke Solidarität mit den Opfern häuslicher Gewalt unverzichtbar. Auch der LASK als „Familienverein“ trägt hier unweigerlich Verantwortung: Wir benötigen so viel mehr als Lippenbekenntnisse, mehr als Social-Media Postings zum Weltfrauentag und mehr als ein „Danke, Mama“ auf der Stadionleinwand, wenn ein Heimspiel auf den Muttertag fällt. Frauen brauchen eine Gesellschaft, die ihnen zuhört und sie ernst nimmt, anstatt sich hinter Täter zu stellen. Bis dahin bleiben die eigenen vier Wände, die Rückzugsort sein und Sicherheit bieten sollten, für Frauen weiterhin der für sie gefährlichste Ort.

Um zur aktuellen Situation rund um den LASK und die Verpflichtung von Boateng zurückzukommen, bleiben viele von uns Fans nach wie vor ratlos zurück. In Erklärungsnot gegenüber anderen Fußballfans, politischen Aktivist*innen, der Gesellschaft und auch dem eigenen Gewissen. Wie kann es sein, dass unser Verein regelmäßig und mit Ansage völlig absurde und moralisch unhaltbare Entscheidungen trifft? Die Verpflichtung eines Mannes, der mutmaßlich seine Ex-Partnerinnen jahrelang misshandelt hat, setzt dabei der Entwicklung des moralischen Verfalls in den letzten Jahren einmal mehr die Krone auf – dieses Mal sogar mit einer gesellschaftspolitisch tatsächlich auch außerhalb unseres Fußballkosmos relevanten Entscheidung.

Der LASK braucht endlich ein von allen Seiten mitgestaltetes Werte- und Leitbild, nach dem sich die Verantwortlichen auch zu richten haben. Es kann und darf nicht sein, dass sich einige wenige immer wieder über jeglichen Wertekanon hinwegsetzen und damit unseren Verein in ein Licht rücken, das dem Image des Vereins nachhaltig schadet. Misogyne bzw. häusliche Gewalt ist dabei keine Privatsache, Täterschutz kein Kavaliersdelikt. Beides muss den Werten eines Fußballvereins diametral widersprechen, der LASK muss endlich einen ordentlichen Umgang damit finden. Ein erster (und einzig gangbarer) Schritt wäre, sich den Fehler einzugestehen und den Vertrag mit Jerome Boateng sofort aufzulösen.

Solltet ihr euch in einer Situation befinden, in der euch euer Partner psychische oder physische Gewalt zufügt, seid ihr damit nicht alleine. Auf der Website www.frauenhelpline.at findet ihr alle Infos, wie euch schnell und unbürokratisch geholfen werden kann.

– Die Autorin des Gastkommentars ist seit1908.at bekannt. –

Seit1908.at distanziert sich von jeglicher misogyner und häuslicher Gewalt und infolgedessen auch deutlich vom Transfer Jerome Boateng. Danke an die Autorin für diese wichtigen Zeilen.

Harald Sonnberger
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